Vorabentscheidungsersuchen der Kuria (Oberstes Gericht Ungarn) vom 20. März 2025 zur Zollwertermittlung unter Verwendung von Durchschnittswerten bei Einfuhren durch einen indirekten Vertreter (Rs. T-224/25 – VÁM4ALL Kft.)

9.12.2025

Mit dem o.a. Vorabentscheidungsersuchen vom 20. März 2025 hat das oberste Gericht Ungarns (Kuria) wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung und Bestimmung von Zollwerten für Waren gestellt, die von einem indirekten Vertreter in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt wurden. Derartige Fälle kommen insb. im E-Commerce häufig vor, da drittländische Internetverkäufer nicht selbst als Anmelder auftreten können und sich dann indirekt vertreten lassen. Häufig handelt es sich bei den indirekten Vertretern um Spedition oder sog. Fulfillmentdienstleister. Somit sind die Fragen im hier vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen gerade für derartige Unternehmen von höchster Bedeutung.

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin hatte im Zeitraum von Januar bis Juli 2019 als indirekter Vertreter für einen Einführer verschiedene Waren aus China zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet. Im Rahmen einer Zollprüfung (Art. 48 UZK) verlangte die Zollbehörde von der Klägerin die Vorlage von Unterlagen zum Nachweis des angemeldeten Zollwerts. Dem wurde nicht Folge geleistet. Insbesondere konnte die Klägerin keine Zahlungsnachweise für die betroffenen Waren vorlegen. Da die Waren bereits verkauft waren, konnten sie auch nicht mehr Gegenstand einer Kontrolle sein.

Die Zollbehörde hatte daher gem. Art. 140 UZK-IA begründete Zweifel daran, dass die angemeldeten Transaktionswerte den gezahlten oder zu zahlenden Preisen gem. Art. 70 Abs. 1 UZK entsprachen. In der Folge ermittelte sie somit für 1.283 von 2.253 geprüften Waren neue Zollwerte nach der Schlussmethode des Art. 74 Abs. 3 UZK. Hierbei zog sie Preise aus einer Zolldatenbank für Waren heran, die in Ungarn im Zeitraum zwischen 45 Tagen vor der Annahme der in Rede stehenden Zollanmeldung und 45 Tagen danach in den zollrechtlich freien Verkehr überlassen worden waren, aus demselben Land stammten, dieselbe Tarifposition, denselben Verfahrenscode und denselben Code zur Bestimmung des Zollwerts hatten wie die Waren, die Gegenstand der Prüfung waren. Diese Preise dienten zur Ermittlung von Einzel- oder Durchschnittspreisen pro Kilogramm. Durch Multiplikation mit dem Nettogewicht der eingeführten Waren ergaben sich dann die neuen Zollwerte, die zu Nacherhebungen führten.

Dagegen wehrt sich die Klägerin. Sie macht geltend, dass die Zollbehörde das Vorliegen begründeter Zweifel am Transaktionswert nicht belegt habe. Die Tatsache, dass der Einführer bei der Prüfung nicht mitgewirkt habe, könne keine Grundlage dafür darstellen, einen abweichenden Zollwert festzustellen. Des Weiteren sei sie als indirekter Zollvertreter nicht dafür verantwortlich, dass der Einführer während der Prüfung nicht die in seinem Besitz befindlichen Unterlagen vorgelegt habe. Die Zollbehörde hätte bei der Zollkontrolle alles daransetzen müssen, um die in Rede stehenden Waren zu identifizieren.

Außerdem habe die Zollbehörde nicht begründet, warum sie bei der Feststellung des Zollwerts nicht die vorrangigen Methoden angewandt habe. Des Weiteren hätte sie bei der Bestimmung des Zollwertes nicht nur in Ungarn verfügbare Daten, sondern Daten aus dem Zollgebiet der gesamten Union verwenden müssen. Schließlich seien die von der Zollbehörde verwendeten Daten aus der Zolldatenbank und die damit vorgenommenen Berechnungen auch nicht überprüfbar. Die Klägerin ist darüber hinaus auch nicht damit einverstanden, dass der Zeitraum zur Ermittlung der Stückpreise/Durchschnittspreise nur +/- 45 Tage betragen hat. Ihrer Ansicht nach hätte er vielmehr 60 bis 90 Tage betragen müssen. Außerdem sei es nicht gerechtfertigt, den Durchschnittswert pro Gewichtseinheit von 1 kg zu ermitteln, da im realen Wirtschaftsleben der Stückpreis einer Ware nicht anhand des Gewichts ermittelt würde.

Die beklagte Zollbehörde ist der dagegen der Ansicht, dass es nach Art. 48 UZK erlaubt sei, nach der Freigabe der Waren die Buchhaltung und andere Aufzeichnungen des Anmelders über die die fraglichen Waren betreffenden Handelsgeschäfte – egal, ob diese Aufzeichnungen vor oder nach diesen Geschäfte angefertigt wurden – zu prüfen. Die Zollbehörde habe ihre Kontrolle zur Feststellung des Zollwerts rechtmäßig durchgeführt und sei berechtigt gewesen, einen anderen Zollwert als den auf den angegebenen Transaktionswert gestützten festzusetzen. Gem. Art 15 Abs. 1 und 2 UZK habe die Klägerin über die Daten und Dokumente verfügen müssen, die für die Ermittlung des angemeldeten Zollwerts erforderlich gewesen seien. Diese hätte sie auf Anfrage vorlegen müssen. Es sei Sache der Klägerin gewesen, anhand geeigneter Dokumente die berechtigten Zweifel am Zollwert auszuräumen. Wegen der fehlenden Dokumentation hätten die nachrangigen Methoden nicht angewandt werden können, und die Zollbehörde sei gezwungen gewesen, eine alternative Methode für die Ermittlung des Werts der Waren heranzuziehen. Dabei sei Art. 144 Abs. 2 UZK-IA berücksichtigt worden. Darüber hinaus sei es auch nicht rechtswidrig, ausschließlich in einer Datenbank in Ungarn enthaltene Daten zu verwenden (EuGH-Urteil C-187/21 - FAWKES, ECLI:EU:C:2022:458). Schließlich habe die Klägerin auch keine Information vorgelegt, die eine Änderung des berücksichtigten Zeitraums rechtfertige. Die Anwendung des statistischen Durchschnittspreises oder des Stückpreises, der darunter liege und diesem am nächsten komme, stehe mit Art. 144 Abs. 2 UZK-IA in Einklang. Bei fehlenden Daten zu den Eigenschaften der in Rede stehenden Ware sei es vernünftig, in Übereinstimmung mit Art. 74 Abs. 3 UZK Waren derselben Zolltarifnummer zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang weist sie auch die Rüge der Klägerin zurück, mit der diese die Berechnung des Zollwerts auf Basis des Gewichts kritisiert.

Das vorlegende Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  1. Ist Art. 15 Abs. 1 UZK dahin auszulegen, dass der indirekte Zollvertreter zusätzlich zu den für die Zollabfertigung erforderlichen Dokumenten auch über alle weiteren Dokumente bezüglich der eingeführten Waren, [insbesondere] Belege über die Durchführung des Handelsgeschäfts (Vertrag zwischen dem Einführer und dem Verkäufer, Bankauszug, mit dem die Zahlung des Preises für die Ware belegt wird, und Dokumente, aus denen die physischen Eigenschaften der Ware, ihr Ansehen und ihre Qualität hervorgehen) verfügen muss und diese Dokumente der Zollbehörde bei der Zollkontrolle zur Verfügung stellen muss?
  2. Ist Art. 140 Abs. 1 UZK-IA dahin auszulegen, dass die Zollbehörden im Fall der Einfuhr von Massengütern, die keine individuellen oder besonderen Eigenschaften aufweisen, ihre begründeten Zweifel für das Nichtakzeptieren der Transaktionswerte auf die Tatsache stützen können, dass der indirekte Zollvertreter trotz Aufforderung nicht mit zuverlässigen Dokumenten die tatsächliche Zahlung des Kaufpreises belegt hat?
  3. Wenn die zweite Vorlagefrage bejaht wird: Ist Art. 74 Abs. 1 und 2 UZK dahin auszulegen, dass die Zollbehörde die Verwendung der in diesem Artikel vorgesehenen nachrangigen Methoden ausschließen kann, weil der indirekte Zollvertreter keine Informationen über die wesentlichen Eigenschaften der Ware (physische Eigenschaften, Qualität, Ansehen) vorgelegt hat?
  4. Wenn die dritte Vorlagefrage bejaht wird: Kann die Anwendung der in Art. 74 Abs. 2 Buchst. a bis d UZK genannten nachrangigen Methoden ausgeschlossen werden, wenn die Zollbehörde – obwohl sie die Möglichkeit hatte – zum Zeitpunkt der Zollabfertigung nicht von ihrer Befugnis, Stichproben von der Ware zu nehmen, oder den weiteren Befugnissen, die ihr Art. 188 UZK einräumt, Gebrauch gemacht hat, wodurch sie Kenntnis von den Eigenschaften der Ware hätte erlangen können?
  5. Wenn die dritte und die vierte Vorlagefrage bejaht werden: Ist Art. 144 Abs. 2 UZK-IA dahin auszulegen, dass er der Zollbehörde erlaubt, den Zollwert ausschließlich anhand aus einer nationalen Zolldatenbank entnommener Daten in der Weise festzulegen, dass sie Waren, die am Tag der Annahme der Zollanmeldung sowie 45 Tage davor und danach in den zollrechtlich freien Verkehr überlassen wurden, denselben TARIC-Code haben und aus demselben Land wie die geprüfte, keine individuellen oder besonderen Eigenschaften aufweisende Massenware stammen, prüft und das einfache arithmetische Mittel des Stückpreises pro Kilogramm der mittels eines Datenfilters ausgewählten Waren berücksichtigt? Wenn diese Frage bejaht wird: Kann mit dieser Methode die Beachtung von Art. 144 Abs. 2 Buchst. b und g UZK-IA gewährleistet werden?

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass vom indirekten Zollvertreter nicht verlangt werden kann, dass er einen Bankauszug vorlegt, mit dem die Zahlung des auf der Rechnung ausgewiesenen Gegenwerts bestätigt wird. Die Tatsache, dass dieser nicht vorgelegt wurde, könne für sich genommen kein Grund dafür sein, den Transaktionswert nicht zu akzeptieren. Der fehlende Zahlungsnachweis könne höchstens indirekt darauf hindeuten, dass der angegebene Transaktionswert nicht den gesamten Kaufpreis umfasst. Des Weiteren seien die Vorlagefragen 3 bis 5 von der Rechtsprechung bisher nicht beantwortet worden, was die in Rede stehenden Waren betrifft, nämlich Massenware aus China, die keine speziellen Eigenschaften aufweist.

Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie der EuGH diese für die Praxis sehr wichtigen Fragen beantworten wird.

SV


Verlag C.F. Müller

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