BFH-Urteil vom 1. Juni 2022 in der Rs. VII R 3/20 zur Hinzurechnung von Beförderungskosten bei passiver Veredelung

25.1.2023

Mit Urteil vom 1. Juni 2022 (ECLI:DE:BFH:2022:U.010622.VIIR3.20.0; veröffentlicht Mitte Januar 2023) entschied der BFH zu einer interessanten Rechtsfrage. Im vorliegenden Fall führte die Klägerin im Rahmen einer ihr bewilligten passiven Veredelung Veredelungserzeugnisse aus Drittländern ein. Seit dem 1.5.2016 (also seit Anwendbarkeit des UZK) meldete sie bei der Zollwertermittlung für diese Erzeugnisse keine Beförderungskosten mehr an, da sie die Auffassung vertrat, dass dies nicht mehr erforderlich sei. Denn nach Art. 86 Abs. 5 UZK komme es bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen für im Rahmen der passiven Veredelung eingeführte Waren nur noch auf das Veredelungsentgelt an. Die normalen Zollwertvorschriften - und damit auch die Hinzurechnungsnorm des Art. 71 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i UZK für Beförderungskosten - seien nicht mehr anwendbar.

Das beklagte HZA vertrat diese Auffassung nicht und fordert die Klägerin auf, die nicht angemeldeten Beförderungskosten nachzumelden. Gegen den daraufhin erstellten Nacherhebungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein und erhob nach der Ablehnung des Einspruchs Klage beim FG.

Das FG urteilte, dass der Einfuhrabgabenbescheid rechtmäßig sei, weil die Einfuhrabgaben unter Hinzurechnung der Beförderungskosten für die aus dem Drittland eingeführten Veredelungserzeugnisse zu ermitteln seien. Die Veredelungskosten träten lediglich an die Stelle des für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises. Ansonsten bleibe es bei den normalen Zollwertregelungen der Art. 69 ff. UZK und damit auch bei den Hinzurechnungen aus Art. 71 UZK. Unabhängig davon ließ das FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage aber die Revision zu.

Der BFH entschied nun, dass die Revision unbegründet und damit zurückzuweisen ist.

Der BFH weist darauf hin, dass Art. 86 Abs. 5 UZK zwar eine besondere zollwertrechtliche Regelung beinhalte, als an die Stelle des Transaktionswerts (Anmerkung: hier hätte es korrekt „an die Stelle des tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises“ heißen müssen!) i.S. Art. 70 UZK die Kosten für den Veredelungsvorgang träten, die übrigen Vorgaben der Art. 69 ff. UZK aber durch Art. 86 Abs. 5 UZK nicht verdrängt würden. Diese seien auch bei der Ermittlung des Zollwerts im Zusammenhang mit einer Einfuhr von Veredelungserzeugnissen nach passiver Veredelung anzuwenden (Rz. 16).

Dies ergäbe sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 86 Abs. 5 UZK, demzufolge der Einfuhrabgabenbetrag "auf der Grundlage" (englische Fassung "on the basis", französische Fassung "sur la base") der Kosten für den außerhalb des Zollgebiets der Union vorgenommenen Veredelungsvorgang zu bemessen sei. Daraus folge, dass diese Kosten lediglich als Ausgangswert für die Ermittlung des Zollwerts anzusetzen seien, ohne dass dadurch der Zollwert in Bezug auf Veredelungserzeugnisse aus einer passiven Veredelung auf die Veredelungskosten beschränkt würde. Davon ausgehend seien auch im Fall des Art. 86 Abs. 5 UZK die Beförderungskosten gemäß Art. 71 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i UZK den Kosten für den Veredelungsvorgang hinzuzurechnen (Rz. 17).

Belegt würde dieses Ergebnis auch durch systematische Überlegungen. Denn die Vorschriften über den Zollwert sind in Titel II „Grundlagen für die Anwendung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben und sonstigen für den Warenverkehr vorgesehenen Maßnahmen" Kapitel 3 "Zollwert der Waren" UZK (Art. 69 bis Art. 76 UZK), enthalten und werden damit für alle Einfuhrabgaben geregelt und "vor die Klammer gezogen". Damit seien die in Art. 69 ff UZK enthaltenen Zollwertregelungen - ohne dass es eines weiteren Hinweises darauf für jedes Zollverfahren bedürfe - demnach immer anzuwenden, soweit nicht in spezielleren Vorschriften Abweichendes geregelt ist. Art. 86 UZK finde sich demgegenüber in Titel III "Zollschuld und Sicherheitsleistung", Kapitel 1 "Entstehen der Zollschuld" UZK, woraus geschlossen werden könne, dass der Unionsgesetzgeber damit keinen generellen Ausschluss der allgemeinen Zollwertvorschriften in den Art. 69 ff. UZK beabsichtigt habe (Rz. 19).

Auch könne aus dem fehlenden Verweis in Art. 86 Abs. 5 UZK auf Art. 71 Abs. 1 UZK nicht geschlossen werden, dass Beförderungskosten - und dementsprechend auch alle anderen dort genannten Kosten - nicht in den Zollwert einzubeziehen sind, weil ein derartiger Verweis aufgrund der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Art. 69 ff. UZK entbehrlich sei (Rz. 20). Würde man der Auffassung der Klägerin folgen, stünde dies der EuGH-Rechtsprechung entgegen, nach der durch die Zollwertregelung ein gerechtes, einheitliches und neutrales System errichtet werden soll, das die Anwendung von willkürlichen oder fiktiven Zollwerten ausschließt. Denn Beförderungskosten fallen für Einfuhrwaren und Veredelungserzeugnisse nach passiver Veredelung gleichermaßen an und müssen daher im Interesse einer gleichmäßigen Besteuerung auch in beiden Fällen zollwerterhöhend berücksichtigt werden (Rz. 21). 

Nichts anderes ergäbe sich daraus, dass nach Art. 591 ZKDVO die Art. 29 bis 35 ZK auf die Veredelungskosten sinngemäß anzuwenden waren, während Art. 86 Abs. 5 UZK einen vergleichbaren Hinweis nicht enthält. Die unter Geltung der früheren Rechtslage nicht in Bezug genommene Vorschrift des Art. 36 ZK betreffend den Zollwert bei verderblichen Waren wurde nämlich nicht in den UZK übernommen. Dementsprechend konnte nach Ansicht des BFH auch der Hinweis auf einzelne Zollwertvorschriften entfallen, da ansonsten alle (verbliebenen) Zollwertvorschriften hätten in Bezug genommen werden müssen. Dies sei jedoch aufgrund deren allgemeiner Gültigkeit nicht erforderlich.

Letztlich stimme das vom FG und BFH vertretene Verständnis der UZK-Zollwertvorschriften auch mit dem GATT-Zollwertkodex 1994 überein, der in Art. 8 Vorschriften für Hinzurechnungen zum tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis enthält, ohne nach der Art der Waren zu differenzieren. 

Im Ergebnis ist der BFH damit der Argumentation des beklagten HZA vollumfänglich gefolgt.

SV


Verlag C.F. Müller

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